In den letzten Minuten bin ich auf die Toilette gegangen. Ich musste gar nicht, aber oft genug fielen gerade dann die Tore, wenn ich auf dem Klo war. Und die Maßnahme zeigte Wirkung: Es gab noch zwei Treffer. Aber blöderweise für Südkorea. Und so habe ich die Tragik der letzten Minuten bei Deutschlands Aus bei der Weltmeisterschaft 2018 nicht gesehen. Weil der Aberglaube die Krücke der Schwachen ist.
Jogi Löw hatte einen anderen Sündenbock für das Ausscheiden ausgemacht. Vier Jahre zuvor entstand im Campo Bahia, dem „besten WM-Quartier aller Zeiten“ (Wolfgang Niersbach), ein fast schon mythischer Esprit, der die deutsche Elf bis zum Titel trug. Das Hotel in Watutinki dagegen hatte für Löw nur „den Charme einer guten, schönen Sportschule“.
Seit 2013 unter neuem Namen: Aus der Sportschule Malente wird der Uwe-Seeler-Fußball-Park
Dabei war gerade die Sportschule früher die Geburtsstätte für einen gemeinsamen Geist, für eine „11 Freunde-müsst-ihr-sein-Mentalität“ und sogar für manchen Weltmeister-Titel. Nicht umsonst gehört der „Geist von Malente“ zur deutschen Fußballgeschichte, nicht umsonst steht auf einem Stein vor den Toren der Sportschule Malente: „Hier werden Weltmeister gemacht“.
Bereits 1952 wurde die Verbandssportschule des Schleswig-Holsteinischen Fußballverbandes eröffnet und in den Folgejahren immer wieder erweitert: 1961 kam die Sporthalle hinzu, in den Siebzigerjahren folgten diverse Anbauten und Aufstockungen. Bevor die deutsche Nationalmannschaft 1990 nach Italien fuhr, wurde erst der Küchentrakt erneuert, dann die Sanitärräume und der Speiseraum modernisiert. Seit 2013 trägt die Sportschule Malente den Namen Uwe Seelers.
Im September 2022 wurden die letzten Veränderungen feierlich eingeweiht: „Neben der Sanierung der ‚Weltmeisterzimmer‘ im Altbau des USFP umfassten die jüngsten Baumaßnahmen den Anbau mit Kühl-, Lager- und Büroräumen, den Bau eines modernen Schulungsraumes für den sportlichen Bereich, den Bau eines Fitnessareals in der Sporthalle sowie den Neubau des Kunstrasenplatzes“, erklärt Der Reporter. Darüber hinaus wurde die Barrierefreiheit der Sportschule verbessert.
Die deutsche Nationalmannschaft bereitete sich nicht nur 1974 und 1990 in der Sportschule Malente auf die Weltmeisterschaft vor, sondern auch 1970, 1978, 1986 und 1994.
Die USP des Uwe-Seeler-Fußball-Parks ist aber nicht in der Infrastruktur zu suchen, sondern in seiner Weltmeister-Macher-Garantie. Sowohl 1974 als auch 1990 fand die Vorbereitung auf die WM in der ostholsteinischen Schweiz statt. Ob der Mythos vom „Geist von Malente“ nun daher kommt oder eher ein Zugeständnis an die Ödnis ist, ist schwer zu beantworten.
Der letzte Aufenthalt der Nationalmannschaft in Bad Malente liegt weit über zwanzig Jahre zurück. Die rund 40 Zimmer im Uwe-Seeler-Fußball-Park haben zwar mittlerweile Drei-Sterne-Niveau, aber das genügt dem Anspruch der heutigen Nationalspieler nicht.
Ansonsten vertreiben sich die Spieler die Spieler die Freizeit mit Lesen (Western, Krimis, allgemeine Literatur) und natürlich mit Fernsehen. Zwischendurch dürfen sie sich auch ein Bierchen genehmigen.
Der »Kicker« vom 6. Juni 1974
Im vergangenen Jahrhundert nahmen geographische Gründe bei der Standortwahl des DFB noch eine bedeutendere Rolle ein. Der erste Besuch in Malente fand (laut „Kicker“) am 13. August 1953 statt, um sich auf das WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen vorzubereiten. Für das „Wunder von Bern“ versammelten sich Fritz Walter und Co 1954 vor der Abfahrt in die Schweiz in der Sportschule München-Grünwald. Dort war die Nationalmannschaft auch zwanzig Jahre später vor dem Finale gegen die Niederlande untergebracht, das in München stattfand. Zuvor war die Mannschaft in Malente einquartiert, was sich nicht nur mit der Nähe zu Hamburg (dort fanden zwei Gruppenspiele statt) und Hannover (einer der Spielorte der Finalrunde beim Gruppensieg, der nicht gelang) begründen lässt, sondern auch mit dem „familiäre[n] Charakter der Sportschule“, wie der Kicker ein Jahr vor der Weltmeisterschaft erklärte.
Dass daraus nichts wurde, dass sich Paul Breitner während der Weltmeisterschaft 1974 „wie in einer Kaserne“ (NDR) fühlte und Franz Beckenbauer laut BILD „wahnsinnig“ wurde, lag an den Vorkommnissen während der Olympischen Spiele von 1972. „Sicherheit ist das oberste Gebot: Die Festung Malente“, schrieb der Kicker bereits einen Monat vor Turnierbeginn und rückte die Sicherheitsvorkehrungen der Polizei in den Mittelpunkt, „die zu respektieren seien“, wie Helmut Schön befand. Dem damaligen Bundestrainer kam die Einkasernierung entgegen, wollte er „auch in früheren Jahren […] mit seinen Spielern am liebsten allein sein“ (Kicker). Am Ende wurde Schön die Monotonie fast zum Verhängnis: „Weil in Malente so wenig passiert“, berichtete der Kicker unmittelbar vor dem ersten Gruppenspiel, „wurde wohl die Frage über die Höhe der Prämie für die WM-Teilnehmer so hochgespielt“. Was sich im Fachblatt so lapidar anhört, führte fast zur Abreise der Mannschaft.
Als die Nationalmannschaft im Mai 1986 in Malente gastierte, waren die radioaktiven Werte des Rasens nach einem Regenschauer doppelt so hoch - die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hatte sich erst wenige Wochen zuvor ereignet. Franz Beckenbauer dazu: "Das wird von den Linken aufgebauscht und von den Rechten verharmlost. Der Mittelweg ist richtig."
Jogi Löw hatte in Russland ganz andere Probleme: „Wir sind nicht am Meer und haben nicht ständig Sonnenschein“, monierte der Bundestrainer während der WM 2018. Mehrere Medien sprachen sogar vom „Ungeist von Watutinki“. Und der „Geist von Malente“? Jugendbildungsreferent Klaus Jespersen sagt im Magazin Unser Norden dazu folgendes:
Für mich persönlich ist er immer da. Ob die jungen Spieler, die zu uns kommen, diesen Geist noch kennen, weiß ich nicht. Aber wenn sie neben fußballerischen Grundlagen auch Elemente wie Bescheidenheit und Zusammenhalt aus Malente mitnehmen, haben wir viel erreicht.
Es sind genau die Werte, die „Der Mannschaft“ inzwischen abgesprochen werden.
Anschrift: Sportschule Malente (Uwe-Seeler-Fußball-Park), Am Stadion 4, 23714 Bad Malente
Internet: http://usfp-malente.de
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