Die Arena des FC Schalke 04 steht in Gelsenkirchen-Erle, die Identität des Vereins liegt rund vier Kilometer entfernt im Stadtteil Schalke: Am Schalker Markt, an der St. Joseph-Kirche, in der Glückauf-Kampfbahn, eben „in einem riesigen Freiluftmuseum“, wie Olivier Kruschinski die „Ressource Schalke“ nennt. Olivier Kruschinski ist „Schalker von Geburt an“ und Veranstalter von Städtetouren seines Vereins. Das kann eine Erinnerungstour sein, die zu den Ruhestätten der Legenden führt, die Zechentour mit dem Schwerpunkt Bergbau, eine Fahrradtour, eine Fototour und viele andere mehr. Oder eben die „Mythos-Tour“, die fußläufig durch den Stadtteil führt und rund drei Stunden dauert.
Die Tour startet vor der St. Joseph-Kirche. An Spieltagen ist die Kirche geöffnet, Fans zünden Kerzen an, Olivier Kruschinski beginnt hier mit der Geschichte des Malocherklubs.
Der Vorläufer von One-Touch und Tiki-Taka
Wenn dem denn so wäre. Denn Kruschinski spricht auf der Mythos-Tour nicht nur über den Mythos S04, sondern auch über Mythen rund um den Verein. Dass Schalke kein Malocherklub war, dessen Spieler fürs Kämpfen und Beißen standen, sondern mit Ernst Kuzorra und Fritz Szepan einen Fußball spielte, der alles andere als langer Hafer und offene Sohle war. Schönen Fußball, der heute dem One-Touch-Fußball oder Tiki-Taka gleichkäme, bekannt unter dem Namen „Schalker Kreisel“.
(An dieser Stelle muss der Hinweis erlaubt sein, dass Schalke „der erste von Arbeitern gegründete und aus Arbeitersportlern bestehende Fußballverein [war], der sich innerhalb des bürgerlichen Sportbetriebs […] durchsetzen und nationalen Ruhm erreichen konnte“, wie es in Sind doch nicht alles Beckenbauers heißt; die Bezeichnung als Malocherklub im Sinne eines Arbeitervereins ist also legitim. Das sieht auch Kruschinski so, er möchte mit diesen Thesen aber bewusst provozieren.)
Er hat der Mannschaft gezeigt, wie man auf Schalke Fußball spielt. Dass man kämpft, dass man bis zum Umfallen rennt und macht und tut und für die anderen mitkämpft. Nur so funktioniert auf Schalke Fußball.
Eine Schalke-Anhängerin über David Wagner
Kruschinski geht auch auf die heutige Glorifizierung des Bergbaus ein, der so gut wie gar keine Fläche zur Verherrlichung bietet. Auf die gute, alte Zeit im Parkstadion, die eigentlich gar nicht so gut war, weil man dort viel zu weit weg vom Spielgeschehen saß, es wie Hechtsuppe zog und man den Regen nicht selten ins Gesicht gepeitscht bekam – bei Gegnern wie Meppen oder Blau-Weiß 90 Berlin. Oder auf die ewige Rivalität zu den Schwarz-Gelben aus Dortmund, die gar nicht so ewig alt ist und die erst in den Achtzigerjahren entflammte.
Bei der Frage nach der blau-weißen DNA wird hier klar, dass sämtliche Marketingkampagnen und identitätsstiftende Maßnahmen zweifelhaft sind, vom Malocherklub bis zur angeblich größten Rivalität im deutschen Fußball.
Vielleicht hat mancher Schalke-Fan auch an dieser Stelle schon keine Lust mehr, aber gerade hier lohnt es sich, dranzubleiben. Denn die Identität besteht nicht aus Reklamephrasen und hochstilisierten Erzfeindschaften, sie ist ja noch da. Nicht in Gestalt einer Turnhalle mit Fußballfeld, sondern in der St. Joseph-Kirche mit ihrem weltweit einmaligen Aloisius im Kirchenfenster. Mit dem Schalker Markt, einst Heimat der Geschäftsstelle, Schaltzentrale des Vereins und „pulsierende Nahtstelle zwischen der Schalker Wohn- und Arbeitswelt und Zentrum des täglichen Lebens“, wie es Kruschinski in seinem Buch Schalke erleben nennt. Oder mit der Glückauf-Kampfbahn, einer Spielstätte, die 1931 in einem Testspiel 70 000 Menschen anzog, obwohl sie nur 35 000 fasste.
Kein Geld für eine einmalige Kathedrale des Fußballs
Die Wahrheit ist aber auch, dass der Schalker Markt gerade nicht mehr als ein Parkplatz ist, auch wenn mittlerweile eine Tafel an die Hochzeiten erinnert. Und dass die St. Joseph-Kirche zum Ende des Jahres 2019 dicht machen muss, gleichzeitig aber die Neuinvestitionen ins Berger Feld 95 Millionen Euro verschlingen, wie die Seite Stadionwelt verrät.
„Woher sollen die Leute wissen, dass hier unsere DNA liegt, wenn sie mit ihren Autos vorbeidonnern und direkt zur Arena fahren“, fragt Kruschinski. Gleichzeitig hat er es sich zum Auftrag gemacht, die blau-weiße Fangemeinde aufzuklären. Er selbst hat einen Leitsatz dafür: „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“
Für 15 Euro kann man gerade im Fanshop den Glockenwecker Retro erwerben, das Grillbesteck „Glück Auf“ oder die Eieruhr mit Sound. Man kann zum gleichen Preis aber auch eine der vielen Touren buchen oder mit Kruschinskis Reiseführer selbst auf Entdeckungstour gehen. Wer einen Tipp möchte: Die Identität ist nicht in der Eieruhr versteckt.
Anschrift: Mythos-Tour, Olivier Kruschinski, Sperlingsgasse 7, 45886 Gelsenkirchen (zur Kontaktaufnahme)
Internet: https://www.mythosschalke.de/
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