Mit einer Stadt, die zu den zehn größten in Deutschland gehört, hat das hier nichts zu tun. Viel mehr erinnert die Szenerie in Stuttgart-Botnang an das Leben auf dem Dorf: Eine Bäckerei mit Verkaufstresen, kein Franchisesystem, eine Schlange von Menschen, die ihre vorbestellten Brote und Brötchen abholen wollen. Zu einer Uhrzeit, zu der in den Läden in der Innenstadt die Rohlinge noch im Ofen stecken.
Ende der Siebzigerjahre hatte Jürgen Klinsmanns Vater Siegfried die Bäckerei eröffnet, nachdem er lange Zeit ein Reisender in seinem Beruf war: Berlin, Usedom, Hamburg und Celle, Papa Klinsmann arbeitete mal einige Wochen, mal einige Monate in Bäckereien, dann zog es ihn weiter. So wie es seinen Sohn später nach Italien zu Inter Mailand führen sollte, nach Frankreich zum AS Monaco oder auf die Insel zu den Tottenham Hotspurs. Sohn Jürgen legte seine Meisterprüfungen bei der WM 1990 oder der Europameisterschaft 1996 ab, sein Vater machte es im Bäckereihandwerk.
Profivertrag mit 16 Jahren
Jürgen Klinsmann erlernte den gleichen Beruf aus rein pragmatischen Gründen, nicht, weil er darin eine Berufung sah: „Bäcker kannst du bei mir machen, da kannst du zum Training gehen, wann du willst“, hatte Siegfried Klinsmann gesagt. Der ursprüngliche Plan sah das Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium vor, der Schulabgang nach der Mittleren Reife passte besser zum schnellen Aufstieg als Fußballstar bei den Stuttgarter Kickers. Der Verein, bei dem er bereits mit 16 einen Profivertrag unterschrieb.
„Die Bäckerei war immer mit Fußball verbunden. Die Kundschaft kam immer rein, Fußball hier, Fußball da, ob es positiv war oder negativ“, sagt Jürgen Klinsmann in Wie wir Weltmeister werden von Jens Mende. Das war nicht immer einfach. Michael Horeni erzählt in Klinsmann – Stürmer, Trainer, Weltmeister von einer Kundin, die Mutter Klinsmann auf ein in der „Bild“-Zeitung kolportiertes 13-Millionen-Angebot vom FC Barcelona ansprach und die dreiste Frage stellte, „ob der Jürgen davon nichts abgeben“ würde. Oder wenn Medien in die Bäckerei spazierten und sich respektlos gegenüber seiner Familie zeigten. Auf der anderen Seite gingen nicht nur Brot und Brötchen, sondern auch Klinsi-Shirts über die Ladentheke der Bäckerei, über der der ehemalige Bundestrainer sein Kinderzimmer hatte.
Es war optimal, der Matthias von hinten und der Jürgen Klinsmann von vorne. Das war ein ideales Duo. Aufm Platz. Und auch außerhalb. Mein Gott ey.
Stefan Kuntz im »Champions Club« auf TM3
Vor zwanzig Jahren sind am Wochenende rund 2000 (wie der Schwabe sagt) „Bretzet“ über den Tresen gegangen, zur WM 2006 sollen sie im „Sekundentakt“ verkauft worden sein, die „besten Brezeln Stuttgarts“, die „weltmeisterlich“ munden, wie ein Reporter des Berliner Kuriers befand.
Ein eigenes Urteil kann man sich nicht mehr bilden, im Mai 2020 postete die Bäckerei Klinsmann auf Facebook, dass sie „ab dem 1.Juni 2020 […] bis auf Weiteres geschlossen“ bleibt.
Anschrift: Eltinger Straße 69, 70195 Stuttgart
Internet: Bäckerei Klinsmann auf Facebook
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